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Bei einem Leerverkauf veräußert der Verkäufer eine Ware, die er noch nicht besitzt. Dies ist möglich, wenn ein Handel eine spätere Lieferung zulässt. Was bei wikipedia recht komplex beschrieben ist, möchte ich etwas anschaulicher für den normalen Menschen beschreiben.
Die in der Finanzkrise verteufelten Leerverkäufe sind ein sehr sinnvolles Instrument des Handels, das nicht auf Aktien beschränkt ist. Zum Beispiel kann ein Bauer dem Müller heute die Getreideernte des nächsten Jahres (Leerverkauf, denn der Bauer hat das Getreide noch nicht) zu einem festgesetzten Preis verkaufen und muss das Getreide erst im nächsten Jahr liefern. Hierbei kann die Zahlung erst bei Lieferung oder sofort erfolgen. Für beide Seiten bietet dieses Geschäft Vor- und Nachteile. Der Bauer kann ruhig schlafen, weil er seine Ernte schon vor der Aussat zu einem für ihn angemessenen Preis an den Mann gebracht hat, der Müller schläft ruhig, weil der Nachschub für die Mühle im nächsten Jahr gesichert ist. Beide glauben, im Moment des Vertragsschlusses einen für sie günstigen Preis erzielt zu haben. Je nach Preisentwicklung kann das Geschäft sich für den einen oder anderen vor- oder nachteilig auswirken. Steigt der Preis, dann hat der Bauer zu billig verkauft, sinkt der Preis, hat der Müller zu teuer gekauft. Im Mittel werden sich die Vor- und Nachteile ausgleichen und beide Seiten erhalten als Gegenleistung Planungssicherheit. Da beide Seiten mit der Preisentwicklung spekulieren, sind sie auch Spekulanten. Der Bauer glaubt ferner, dass seine Ernte ausreichen wird, um seiner Lieferpflicht nachzukommen, der Müller glaubt, dass er das Getreide vollständig als Mehl verkaufen kann.
Neben diesem direkten Handel gibt es Zwischenhändler, die Getreide kaufen oder verkaufen, es aber nicht selbst mahlen oder anbauen. Die Händler spekulieren darauf, dass sie das Getreide zu einem späteren Zeitpunkt günstiger verkaufen oder kaufen können. Mussten vorher Müller und Bauer direkt miteinander handeln, müssen sie jetzt einen Zwischenhändler finden, der das Geschäft vermittelt. Natürlich wird der Zwischenhändler für seine Vermittlung eine Provision einstreichen wollen. Der Bauer bekommt etwas weniger, der Müller muss etwas mehr zahlen. Sie haben ihre Suche nach einem Käufer / Verkäufer auf den Zwischenhändler ausgelagert (out-sourcing). Der Zwischenhändler kann unterschiedliche Produktionsmengen zwischen vielen Bauern und Müllern koordinieren. Ein System zum Vorteil für alle Beteiligten.
Sind viele Zwischenhändler am Markt, werden die einen auf steigende und die anderen auf fallende Getreidepreise spekulieren. Die Leerverkäufe der Zwischenhändler ermöglichen es, dass sie sich gegenseitig Getreide verkaufen, ohne dass ein Bauer oder Müller beteiligt ist. Dieses noch nicht existente Getreide können sie täglich beliebig hin und her verkaufen. So wird sich ein Preis bilden, der die Erwartung wieder spiegelt, wie der Preis im nächsten Jahr sein wird. Bauer und Müller können zu jedem Zeitpunkt in das Geschäft einsteigen: Sie werden es tun, wenn sich ein nach ihrer Einschätzung für sie vorteilhafter Preis gebildet hat.
Sie können sogar mehr Getreide handeln, als die Bauern produzieren oder die Müller brauchen. Beispiel? Nehmen wir an 100 Bauern produzieren voraussichtlich 1.000 Tonnen (t) pro Jahr. Von zehn Zwischenhändlern glauben 5 die Preise steigen fünf glauben sie fallen. Jeder der auf fallende Preise setzt, kann eine beliebigen Menge, sagen wir 400 t, verkaufen. Wenn fünf Verkäufer 5 * 400 = 2.000 t verkaufen, dann ist dies das Doppelte der voraussichtlichen Produktion. Irgendwann werden die Verkäufer feststellen, dass sie mehr liefern müssten, als die Bauern ihnen verkaufen wollen. Sie müssen von den anderen Zwischenhändlern 1.000t Getreide zurückkaufen um ihren Lieferverpflichtungen nach zu kommen. Je näher der Zeitpunkt der Ernte kommt, haben die Aufkäufer das umgekehrte Problem, denn die Müller werden von 2.000 t nur 1.000 t abnehmen. Durch die Rückverkäufe werden die Positionen glatt gestellt. Vorteil für Bauer und Müller: Auch ohne Ernten findet laufend eine Preisbildung statt. Dies wäre ohne Leerverkäufe nicht möglich. Der Bauer müsste erst ernten und dann verkaufen.
Die Zwischenhändler tragen das Risiko der schwankenden Preise. Die einen werden Verluste machen, weil die Preise sinken, die anderen weil sie steigen. Insgesamt ist es ein Nullsummenspiel. Die Gewinne der einen Gruppe Zwischenhändler sind die Verluste der anderen. Damit dieses Prinzip dauerhaft gedeiht, müssen Bauer und Müller mit der Differenz zwischen dem Verkaufspreis des Bauern und dem Einkaufspreis des Müller die Kosten des Handels finanzieren. Und ist der Handel noch so klein, bringt er stets mehr als Arbeit ein. Aber nicht vergessen, am Ende der Kette muss der Brotesser die Kosten tragen.
Ein kleiner Haken ist, dass durch diese Leerverkäufe sehr viel mehr Getreide gehandelt wird, als tatsächlich produziert wird. Was sollte einen Zwischenhändler daran hindern, die gesamte Ernte oder ein Vielfaches davon zu verkaufen, wenn einer anderer bereit ist diese Menge zu kaufen? Fällt die Ernte schlecht aus,m sehen sich die Zwischenhändler Forderungen gegenüber, die sie nicht erfüllen können, ist die Ernte schlecht, bleiben sie auf Getreide sitzen.
Bei der Vorhersage der Ernte und damit des Preises im nächsten Jahr ist viel Bauchgefühl im Spiel. Wenn sich zu den Zwischenhändlern Leute gesellen, die von der Materie keine Ahnung haben und nur auf einen vermeidlich schnellen Gewinn aus sind, dann kann das System aus den Fugen geraten. Wenn jemand glaubt, dass die Preise steigen und deshalb aus seiner Sicht günstig kauft, wird der Preis steigen. Wenn er, weil sein Prognose sich als richtig erwiesen hat, weiter kauft, werden die Preise weiter steigen. Was weitere Käufe nach sich zieht. Dem Rennen ist nach oben keine Grenze gesetzt. Wenn nun ein realistischer Händler in diesen Kreislauf nach oben dosiert leer verkauft, dann wird der Markt heiß laufen und am Ende die Preise den Bach runter gehen. Schlecht für die, die dann noch auf Getreide sitzen.
Diese „Händler“ sind nicht wichtig für das System. Im Gegenteil. Sie sind schädlich und gehören aussortiert. Unser Mitleid und eine Rettung haben sie nicht verdient. Wer sie rettet, der fördert nur die Wiederholung. Hier ist Finanz-Darwinismus gefragt.
Man soll steigenden Kursen nicht hinter her rennen, ist eine alte Börsenweisheit, die sich nicht überall herum gesprochen hat. Da dem Preis nach unten die natürliche Grenze 0 gesetzt ist, funktioniert das unbeschränkte Rennen nicht mit fallenden Kursen. Die Hoffnung, es morgen billiger zu bekommen, endet früher, als der Glaube, es morgen teurer verkaufen zu können.
[…] 11.03.2012 Milch könnte in Deutschland nach Einschätzung der Bauern bald schon wieder sehr viel billiger werden und die Betriebe damit in Gefahr bringen. „Es wird produziert auf Teufel komm raus“, sagte der Chef des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), Romuald Schaber, dem „Tagesspiegel“. In diesem Jahr werde erstmals die Grenze von mehr als 30 Milliarden Kilo Milch überschritten, prognostizierte er. Bis 2008 waren es demnach gut 28 Milliarden Kilo im Jahr. […]