Abstrakter Schuh

Fersen- oder Ballengang

Besser sind wohl die Begriffe Fersen-, Mittelfuß- oder Ballenaufsatz, (rearfoot strike (RFS), midfoot strike (MFS), and forefoot strike (FFS)), weil es sich im Grunde nicht um Gangarten handelt.

Wer die Fortbewegung des Menschen untersucht hat ein Problem: Nur eine kleine Gruppe der Menschen läuft natürlich. In der westlichen Welt läuft kaum ein Mensch barfuß. Da ist es schwer, die natürliche, präferierte Gangart des Menschen festzustellen.

Von ersten 50 Läufern eines Halbmarathon traten nach 15 km 36% der Läufer mit dem Mittelfuß und 62% mit der Ferse zuerst auf. Dass nur 2% – sprich einer – mit dem Ballen zuerst auftrat, sollte uns nicht wundern. Ich vermute, keiner lief barfuß. Laufschuhe sind fürs Auftreten mit der Ferse gebaut. (Unter allen Läufern war das Verhältnis 74,9%, 23,7% und 1,4%). Aufgrund der wenigen Ballenaufsetzer, sind statische Aussagen zu gesundheitlichen Auswirkungen des Auftretens, sinnfrei.

Siehe: Foot strike patterns of runners at the 15-km point during an elite-level half marathon.

Hier ein paar Anmerkungen zum Auftreten mit der Ferse und Schuhen. Aufgrund der Schuhe – Minimalschuhe nehmen wir mal aus – treten fast alle Menschen mit der Ferse zuerst auf. Aber warum?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Der Schuh schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Stiefel machen es fast unmöglich, den Fuß zu den Zehen zu strecken oder die Zehen zum Bein anzuziehen. Der Fuß ist in 90° Winkel zum Unterschenkel fixiert. Daher ist es mit Stiefeln nahezu unmöglich anders als mit der Ferse aufzutreten.

Wie weit müsste der Fuß überhaupt gestreckt werden? Meine Beinlänge beträgt ziemlich genau 100cm, meine Schrittlänge beträgt barfuß 45cm. Daher muss ich meinen Fuß – bei gestrecktem Knie – um mindestens 13° neigen, damit er flach aufsetzt. In diesem Bereich erfordert 5cm mehr Schrittlänge 1,5° mehr Neigung. Deshalb ist die Schrittlänge bei Barfußläufern im Ballenaufsatz kürzer.

Wenn der Ballen mit dem kleinen Zeh den Boden berührt, ist meine Ferse etwa 2 cm vom Boden entfernt. Dazu muss ich (Fußlänge 285 mm) meinen Fuß um weitere 4° neigen.

Herkömmliche Schuhe haben eine Sprengung. D.h. die Sohle ist am Absatz dicker als an der Spitze. Für jeden Zentimeter Sprengung (Differenz der Dicke Absatz zu Spitze) muss ich den Fuß um weitere 2° beugen. Bei Frauenschuhe sind 2 cm und mehr Sprengung nicht ungewöhnlich.

Damit bin ich bei einem Winkel von etwa 20°. Aber: Ich bin nicht am Ende.

Moderne Schuhe sind in der Spitze aufwärts gekrümmt, damit Fersenaufsetzer besser „abrollen“ können. Die Zehen werden permanent nach oben gebogen. Nehmen wir an, im vorderen Viertel biegt sich mein Schuh um einen Zentimeter nach oben, dann muss der Fuß um weitere 8° gebeugt werden, damit ich mit Zehen und Ballen flach auftrete. Somit kommen wir zu fast 30°.

Stiefel oder Stiefelletten spielen da nicht mit. Halbschuhe mit hoher verstärkter Ferse drücken in die Achillesferse, was auf die Dauer nicht angenehm ist.

Da bleibt in Schuhen nur der „Fersengang“. Wer also vorwiegend in Schuhen läuft, wird Barfuß nicht anders laufen. Mit der Zeit werden die Füße sich nicht mehr so gut neigen können. (Zwar wird der Fuß beim Klappen auf den Boden zu den Zehen gestreckt, diese Neigung ist jedoch geringer als die 13° Mindestneigung, weil der Unterschenkel sich gleichzeitig über die Ferse dreht.) die Folge ist, auch barfuß treten die Menschen mit der Ferse voran auf.

Bremsweg

Wenn ich mit der Ferse zuerst auftrete, ist der Bremsweg extrem kurz. Jeder Schritt ist ein dumpfer Stoß, der durch das Knie des gestreckten Beines bis in die Hüfte und den Rücken reicht.

Die Haut an meiner Ferse kann ich etwa 5 mm eindrücken. Das Fettpolster unter der Ferse ist kein idealer Stoßdämpfer, aber lassen wir dies außen vor.

Die Bremsverzögerung ist proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit und umgekehrt proportional zum Doppelten des Bremsweges (a=v²/(2s).

Kurz: Wenn sich die Geschwindigkeit verdoppelt, vervierfacht sich der Stoß. Halbiert sich der Bremsweg, verdoppelt sich der Stoß. Die normale Gehgeschwindigkeit liegt bei 5 km/h. Laufe ich mit 10 km/h, vervierfacht sich die Belastung. Bei 15km/h sind es die neun-fache Belastung und bei einem Marathonläufer der Weltspitze mit etwa 20 km/h das 16-fache eines Spaziergängers.

Im Vergleich zum Ballenaufsatz, bei dem ich die Ferse über 20 mm langsam absenke, bis sie den Boden berührt, tritt beim Fersenaufsatz mindestens die vierfache Kraft auf. Wenn ich mit dem Ballen auftrete, kann ich den Bremsweg vergrößern, indem ich den Fuß stärker neige. Diese Möglichkeit gibt es beim Auftritt mit der Ferse nicht.

Wenn ich mit dem Ballen zuerst auftrete, ist mein Knie nicht durchgestreckt. D.h. hier wirkt das gesamte Bein als Stoßdämpfer um den schweren restlichen Körper abzufangen.

Ob mit oder ohne Schuhe, ich laufe im Ballenaufsatz immer schonender für die Gelenke und den Rücken – völlig unabhängig von der Geschwindigkeit.

Ein Schuh verbessert diese Situation kaum. Der Absatz müsste sich zwei Zentimeter eindrücken lassen, um die gleiche Dämpfung wie der Ballenaufsatz zu erreichen. Und im Fersenaufsatz dürfte das Bein nicht durchgestreckt werden.

Diese Unterschiede sind völlig unabhängig davon, wie schnell ich laufe.