Nachdem ich im Teil 1 die Übersterblichkeit nach Median betrachte habe, habe ich die Abfragen erweitert und den systematischen Fehler für den Monat Februar ( 28 Tage in Schaltjahren 29 Tage ~ 3,6 %) durch umrechnen auf 28 Tage beseitigt. Damit ergeben sich ein paar leichte Abweichungen und es gibt einen Überblick über mehrere Jahre.
Der Unterschied zwischen der Sterblichkeit gemäß einer auf die Altersjahre bis 100 erweiterten Altersstruktur von DESTATIS Tabelle 12411-6 (grüne Linie) und der des World Population Prospects 2022 (blaue Linie) in den Jahren 2012 bis 2014 liegt meiner Meinung nach an der geänderten Altersstruktur aufgrund des Mikrozensus 2011. Der Unterschied zeigt auch, wie sehr die erwarteten Sterbefälle von der Altersstruktur abhängen. Seit 2020 ergibt sich wieder ein neues Gap. Hier habe ich keine Vermutung zur Ursache.
Das simple Modell von DESTATIS errechnet seit 2008 durchgängig jährliche Übersterblichkeit, während sich bei der Berücksichtigung der Altersstruktur eine Untersterblichkeit ergibt. Steigt die Lebenserwartung, werden die Sterbefälle überschätzt und es kommt zur Untersterblichkeit. Aus dem Bauch lässt sich nicht entscheiden, ob dieser Effekt die Untersterblichkeit seit 2005 erklärt. Auch nach Wochen und Monaten ergibt sich für die letzten vier Jahre das die geschätzte Übersterblichkeit anhand er absoluten Sterbefälle immer höher ist.
Das die alters- und geschlechtsbereinigte Schätzung der Sterbefälle fast immer zur Untersterblichkeit führt muss eine Ursache haben. Eine Erklärung dafür habe ich derzeit nicht. Es mag sein, dass 5er-Altersbänder noch zu grob sind oder die Bevölkerungsdaten nicht genau genug. Siehe die Jahre 2012 bis 2014.
Update: 07.12.2022
Die Über-/Untersterblichkeit der nach Alter und Geschlecht standardisierten Sterbefälle korrelieren stark mit der Über-/Untersterblichkeit nach den absoluten Sterbefälle. Die erwarteten Sterbefälle im Zeitraum (Jahr, Monat, Woche) werden als Summe der sich aus dem Median der Sterberate der letzten vier Jahre multipliziert mit der Größe der Alters- und Geschlechtsgruppe ergebenden Sterbefälle errechnet.
Die alters- und geschlechtsadjustierte Übersterblichkeit ab 2005 (Bevölkerungsstruktur nach DESTATIS modifiziert mit Werten des World Population Prospect 2022 (WPP) für 85+) auf Jahresbasis ist etwa 7,6 – 9,0 %-Punkte [CI 95 %] niedriger als die auf absoluten Sterbefällen beruhende Übersterblichkeit gegenüber den Median der letzten vier Jahre. Auf Monatsbasis ist die Übersterblichkeit 8,2 – 8,5 %-Punkte und auf Wochenbasis 8,3 – 8,5 %-Punkte niedriger.
Unter (Hobby-) Statistikern wird gerne über Median und Mittelwert bei der Bestimmung der zu erwartenden Sterbefälle gestritten. Deshalb habe ich neben dem Median auch den Mittelwert der (absoluten und alters- und geschlechtsadjustierten) Sterbefälle ab 2005 berechnet und in Streudiagrammen den Mittelwert bzw den Median den tatsächlichen Sterbefällen gegenübergestellt.
In den beiden Grafiken ist zu sehen, dass der Mittelwert zu den Gestorbenen weniger streut als der Median, aber der große Gewinn tritt damit nicht ein. Noch etwas geringer wird die Streuung, wenn wir alters- und geschlechtsadjustierten Werte betrachten.
Mittelwert oder Median
Für die folgenden Betrachtungen beschränken wie uns auf Wochenwerte. Wie wirken sich diese beiden Methoden im Zeitverlauf aus? Damit es nicht zu unübersichtlich wird, lassen wir das Bevölkerungsmodel des WPP außen vor. Wir haben bereits gesehen, dass bei einer Alters- und Geschlechtsadjustierung Unterschiede im Bevölkerungsmodell erheblichen Einfluss auf die geschätzte Übersterblichkeit haben.
Das nächste Diagramm zeigt, dass die Kurven des Mittelwertes und des Median ähnlich verlaufen.
Vergleichen wir und den Winter 2020/21 und 2021/22 stellen wir fest, dass der Mittelwert in 2020/21 einen höhere Übersterblichkeit ergab, als der Median. Im Winter 2021/22 ist es umgekehrt. Die Übersterblichkeit nach Median ist gestiegen und nach Mittelwert gesunken. Die Erklärung ist einfach: 25 % der hohen Übersterblichkeit in 2020/21 nach Mittelwert sind zu »normaler« Sterblichkeit geworden, während Median dies für 2021/22 als Ausreißer (noch) filtert.
Ähnlich sieht es im Frühjahr 2021 und 2022 aus.
Schauen wir uns nun drei Streudiagramme näher an.
Nicht adjustierte Mittelwerte der letzten vier Jahre schätzen die Übersterblichkeit etwa 5,2 – 5,4 %-Punkte höher ein, als alters und geschlechtsadjustierte Werte. Die Steigung der Ausgleichsgeraden liegt bei 1,03 bis 1,05. R² = 0,97
Nicht adjustierte Mediane der letzten vier Jahre schätzen die Übersterblichkeit etwa 8,1 – 8,4 %-Punkte höher ein, als alters und geschlechtsadjustierte Werte. Die Steigung der Ausgleichsgeraden liegt bei 1,04 bis 1,07. R² = 0.94
Halten wir also fest: Nicht adjustierte Schätzungen der Übersterblichkeit liegen in der Regel höher als adjustierten Schätzungen, unabhängig davon, die Übersterblichkeit mittels Mittelwert oder Median geschätzt wird.
Bisher korrelierten die verglichenen Schätzungen sehr gut miteinander. Vergleichen wir zum Schluss die adjustierten Schätzungen nach Mittelwert und Median miteinander.
Auch diese Werte korrelieren miteinander. Allerdings streuen die Werte stärker R² = 0,71. Der Schnittpunkt der Ausgleichsgraden mit der y-Achse liegt bei 0,16 – 0,63 %-Punkten . Allerdings beträgt die Steigung nur 0,68 – 0,74. Damit schätzt das Verfahren nach Mittelwert die Über- / Untersterblichkeit auf etwa 70 % des Wertes des Verfahren nach Median.
Und weil es so schön ist, nun noch der Vergleich der nicht adjustierten Mittelwerte mit dem Median.
Auch diese Werte korrelieren mit R² = 0,71. Der Schnittpunkt der Ausgleichsgraden mit der y-Achse liegt bei (-0,13) – +0,15 %-Punkten . Allerdings beträgt die Steigung nur 0,67 – 0,72. Damit schätzt auch in diesem Fall das Verfahren mit Mittelwert die Über- / Untersterblichkeit auf etwa 70 % des Wertes nach dem Verfahren mit Median.
Und zum Schluss – vor dem Fazit – noch ein Boxplot.
Fazit
Wenn ein Verfahren eine höhere Unter-/Übersterblichkeit feststellt, werden es die anderen Verfahren i.d.R. auch feststellen. Nur wie hoch die tatsächliche Zahl der höheren oder niedrigeren Sterbefälle ist, hängt stark vom Verfahren ab.
Egal ob Median oder Mittelwert: nicht adjustierten Verfahren führten seit 2005 eher zur Übersterblichkeit, adjustierte Verfahren zur Untersterblichkeit. Beides ist wenig befriedigend, da weder eine dauernde Übersterblichkeit, noch eine dauernde Untersterblichkeit dem intuitiven Begriff entspricht.
[…] der monatlichen und wöchentlichen Unter-/Übersterblichkeit hatten wir gesehen, dass die Methoden korrelieren. Schauen wir uns in Streudiagrammen die Ergebnisse jeweils zweier Methoden […]