[vgwort line=“54″ server=“vg05″ openid=“11c1ec228aad42038deea0d0f1f47d7b“]
„Finanzausschuss fordert 16 Prozent Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel!“, titelt Focus Online heute unter Berufung auf einen Artikel der Welt am Sonntag: „Reformvorschlag 16 Prozent Mehrwertsteuer – und zwar auf alles“.
Über die Intention hinter dem kleinen Unterschied in den beiden Überschrift denke ich lieber nicht nach. Lohnt nicht. Aber die Forderung oder den Reformvorschlag möchte ich näher betrachten.
Nun könnte man glauben, diese Idee kommt von der FDP; die ist aber nicht im Parlament. Dann müsste sie von der CDU oder CSU sein. Die hatten die Idee aber auch nicht. Die Idee stammt von der SPD. Die Vorsitzende des Finanzausschusses, Ingrid Arndt-Brauer, sagt: „Lebensmittel würden etwas teurer werden, aber die sind bei uns ohnehin gigantisch billig.“ – Etwas teurer ist gut, nur ~8%; aber nicht alle. – Weiter: „Wir basteln gerade nicht an irgendwelchen Rettungsschirmen. Wir haben die Zeit, solche grundlegenden Dinge zu tun.“
Natürlich soll die Reform nicht den Steuerzahler entlasten; sie soll aufkommensneutral sein. Im Klartext: Eine Umverteilung zwischen den Steuerzahlern – unter dem Deckmantel der Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung.
Zur Erläuterung: Es gibt zwei Mehrwertsteuersätze: 7% und 19%. Der höhere Steuersatz ist die Regel, der niedrigere die Ausnahme. Die Ausnahmen sind in einem Katalog beschrieben. Der geringere Steuersatz gilt zum Beispiel auf Lebensmittel, aber natürlich nicht auf alle. Er gilt auch nicht, wenn die Lebensmittel im Restaurant verzehrt werden. Deshalb fragt McDonalds, das etwas andere „Restaurant“: „hier essen oder mitnehmen?“ Der Endpreis bleibt aber gleich, den Unterschied streicht McDonalds ein. Burger-King ist auch nicht besser.
Natürlich ist es nicht immer logisch. Im Hotel zahlen wir dank der FDP 7% und einiger Freunde in der CSU für die Übernachtung und 19% für das Frühstück. Warum Bier ein Grundnahrungsmittel (7%) ist, Mineralwasser (19%) aber nicht, weiß wahrscheinlich auch die Vorsitzende des Finanzausschusses nicht zu erklären. Vielleicht müsste man die Lobbyisten der Bierbrauer fragen. Hier war ich einer falschen Information aufgesessen. Bier wird zu 19% versteuert. Als Ausgleich biete ich folgenden Unfug: Zucker ist ermäßig, Kakao auch, aber nur wenn er nicht mit dem ermäßigten Zucker oder einem anderen Süßstoff gemischt wird. Mehr zu diesem Unfug kann bei SeiSmart oder Focus-Online nachgelesen werden.
Laut Frau Arndt-Brauer belastet oder entlastet ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz von 16% niemanden, weil die meisten Verbraucher einen sehr gemischten Konsum haben. Die meisten, aber eben nicht alle. Lebensmittel etwas teurer (~8,4%), alles andere billiger (~2,5%).
Nun, wenn ich mir als Hartz IV Leistungsträger einen Bugatti Veyron Super Sport für rund drei Millionen € kaufe, spare ich etwa 76.000 €. (Wie üblich will ich nicht kleinlich sein und nicht auf den Cent genau rechnen). Da muss ich sehr viele Lebensmittel (für ungefähr 900.000€) kaufen um die Ersparnis steuerlich aufkommensneutral wieder auszugleichen. Allerdings könnte ich mir dafür Reitpferde (jetzt noch 7%) zulegen. Nur mit meinem Grundnahrungsmittel Trüffel (7%), werde ich es nicht schaffen.
Aber es muss ja nicht der gleich der Bugatti sein. Ein Hausbau für 300.000 € wird immerhin um 7.600 € preiswerter. Leute, die so viel Geld haben, dass sie sich ein Haus leisten können, haben diese Entlastung sicher dringend nötig.
Anders herum gerechnet: Wenn ich bisher für 500 € Waren zum reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7% gekauft habe, dann zahle ich künftig etwa 42 Euro mehr. Um diese Mehrkosten durch die Senkung des höheren Steuersatzes wieder auszugleichen, müsste ich das 3,34-fache – also 1.667 € Leistungen – zum alten Steuersatz von 19% im Monat gekauft haben. Je mehr Leistungen ich vor der Reform zum hohen Steuersatz erworben habe, desto mehr gewinne ich durch die Reform. Bedenke ich, dass auf die Miete keine Mehrwertsteuer erhoben wird, dann wird es bei kleinen Einkommen schwer, die Mehrkosten durch die Senkung des hohen Steuersatzes auszugleichen. Ich frage mich, wie dies jemand mit dem künftigen Mindestlohn von 8,59€ macht.
Natürlich bedarf der Katalog der Ausnahmen einer Überarbeitung. Ursprünglich sollte der ermäßigte Steuersatz das Existenzminimum für Geringverdiener sichern. Absicht war es 1963 „bestimmte Güter des lebensnotwendigen Bedarfs“ zu verbilligen. Inzwischen sind daraus Trüffel, Pferde, – und Dank der FDP – Hotelübernachtungen geworden. Babynahrung (19%) gehört nicht dazu. Das meine Hundenahrung (7%) gefördert wird, freut mich als Hartz IV Empfänger sehr – demnächst nicht mehr. Dabei brauche ich das Geld dringend für den Bugatti.
Wo immer sich eine Lobbygruppe fand, wurde etwas lebensnotwendig. Gut, Bier (7%) ist für Bayern lebensnotwendiges Grundnahrungsmittel, ohne die sie es mit uns Preußen nicht in einem Land aushalten können. Inzwischen ist unser Steuerrecht so verkrukst, dass eine „gerechte“ Reform nicht mehr möglich ist. Eine Abkehr von der sozialen Absicht von 1963 bei gleichzeitiger aufkommensneutraler Senkung des Steuersatzes wird so zur Umverteilung von unten nach oben. Dass die SPD diese Idee auf den Tisch bringt und die Wirtschaft ihr beipflichtet, ist schon bezeichnend.
Letztes Jahr hat die CDU mit Finanzminister Schäuble noch erkannt, dass mit der Abschaffung des ermäßigten Steuersatzes kein Blumentopf zu gewinnen ist. (Siehe Christian Ramthun: System ist ungerecht und absurd – Regierung versinkt im Wirrwarr der Mehrwertsteuer). Warum die SPD nun dieses Fass aufmacht, ist mir unverständlich. Wer die soziale Komponente streichen will, mag dies gerne tun, aber er muss einen Ausgleich über höhere Löhne und Hartz IV Sätze schaffen. Kein einfaches unterfangen. Diese Änderung in sich als gerecht zu verkaufen wird scheitern. Dies zeigt schon der Unterschied in den Schlagzeilen von WamS und Focus.
Ob Oma Erna es hinnimmt für ihre Grabbeilage künftig mehr zu bezahlen, damit der Luxusschlitten ihres Vermieters preiswerter wird?
Wir werden sehen.
Guten Tag,
für Bier gilt wie für andere Getränke ein Mehrwertsteuersatz von 19%. Das war auch noch nie anders.
Ansonsten steht da sehr viel richtiges… 😉
Danke für den Hinweis.
Ich habe im Gesetz nachgeschaut. Für Bier gibt es keine Ausnahme, da habe ich mich wohl auf einen Bericht verlassen. Ob es jetzt immer so war, will ich jetzt nicht nachforschen. Die Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände gibt es hier.